1. Mai 2025von Giorgio Agamben

„Der politische, wirtschaftliche und geistige Zusammenbruch der europäischen Länder ist zum Beispiel schon heute absehbar, auch wenn sie noch einige Zeit überleben werden„, schreibt der Philosoph Giorgio Agamben. Was kommt, ist ein „Mittelalter“.

Eine Passage aus Sergio Bettinis Buch L’arte alla fine del mondo antico (Kunst am Ende der antiken Welt) beschreibt eine Welt, die man nur schwerlich nicht als diejenige erkennen kann, die wir derzeit erleben. „Politische Funktionen werden von einer staatlichen Bürokratie übernommen; diese wird akzentuiert und isoliert (Vorwegnahme der byzantinischen und mittelalterlichen Höfe), während die Massen abstinent werden (Keim der volkstümlichen Anonymität des Mittelalters); innerhalb des Staates bilden sich jedoch neue soziale Kerne um verschiedene Tätigkeitsformen (Keim der mittelalterlichen Korporationen) und die Latifundien, die autark geworden sind, Vorläufer der Organisation einiger großer Klöster und des Feudalstaats selbst“.

Wenn die Konzentration der politischen Funktionen in den Händen einer staatlichen Bürokratie, ihre Isolierung von der Volksbasis und der wachsende Abstinenzismus der Massen perfekt zu unserer historischen Situation passen, genügt es, die Begriffe in den folgenden Zeilen zu aktualisieren, um auch hier etwas Vertrautes zu erkennen. Den von Bettini beschworenen großen Latifundien entsprechen heute wirtschaftliche und soziale Gruppen, die zunehmend autark agieren und eine von den Interessen der Gemeinschaft völlig losgelöste Logik verfolgen, und den sozialen Kernen, die sich innerhalb des Staates bilden, entsprechen nicht nur die Lobbys, die innerhalb der staatlichen Bürokratien agieren, sondern auch die Eingliederung ganzer Berufsgruppen in die staatlichen Funktionen, wie es in den letzten Jahren bei den Ärzten geschehen ist…

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