von André Knips
09. Mai 2025  

Er tritt auf wie ein Hohepriester der Moral, doch er ist nur die letzte Metamorphose eines gesättigten Kulturmenschen in der digitalen Endzeit, dem das Tragende, das Tiefe, das Erdverwurzelte abhandengekommen ist. Was er präsentiert – seine Ikonographie aus Spritzen, Ukrainefarben, Regenbogenflagge, Maske, Hashtag mit Gendersternchen – ist nicht Ausdruck von Geist, sondern von Gewohnheit. Seine „Haltung“ ist die Form gewordene Dekadenz eines Zeitalters, das von innerer Leere ausgezehrt ist und sich noch einmal moralisch aufbäumt, ehe es in sich zusammenfällt.

Der Gutmensch existiert nur im Kontrast. Wie alle Erscheinungen der Zivilisation ist auch er nicht schöpferisch, sondern ableitend. Er ist gegen Hass, gegen Putin, gegen rechts, gegen Trump, gegen den „Klimaleugner“, gegen das Männliche, gegen das Eigene – denn nur im „gegen“ gewinnt sein leergewordenes Ich die Illusion von Substanz. Er kann nur durch Kontrast existieren, weil das Eigene längst verflüchtigt ist. Die Leere wird zur Haltung, das Nichts zum Standpunkt.
Abkömmling der faustischen Seele

Die Zivilisation ist das Alter einer Kultur. Der Gutmensch ist eine Figur dieser zivilisatorischen Spätphase – ein Abkömmling der faustischen Seele, der sich vom Willen zur Tiefe losgesagt hat. Er lebt in Symbolen, nicht in Wirklichkeit. Er denkt in Etiketten, nicht in Ideen. Alles, was noch lebt, wird durch ihn zum Schematischen degradiert. Er kennt keine Tragik, nur Rhetorik. Er hat keinen Zweifel, nur Parolen. Der Pathos, mit dem er das „Gute“ verkündet, ist nicht getragen von einem Ernst, der aus dem Inneren kommt, sondern von einem Willen zur Selbsterhöhung, der in jeder Kulturphase die Maske der Ethik trägt, wenn das Schöpferische erloschen ist.

Der Gutmensch bekämpft den Hass mit Hass. Seine Ablehnung ist seine einzige Form von Selbstbestätigung. Er blockiert, diffamiert, denunziert – nicht aus Kraft, sondern aus Angst. Denn der Schatten, der in ihm wohnt, ist längst zu groß geworden, um noch unbemerkt zu bleiben. Und so wirft er ihn auf andere. Er braucht den Gegner, wie der Satte das Gift braucht, um wieder etwas zu spüren…

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